user_mobilelogo
Facebook
Donnerstag, 05 Januar 2017 17:07

"Das ist mir zu viel Photoshop"

"Das ist mir zu viel Photoshop"

Diese und viele ähnliche Aussagen liest man immer wieder, wenn man die Kommentare zu Bildern in sozialen Netzwerken und Fotoplattformen durchstöbert. Zwar wird die ewig währende Diskussion um das Thema Bildbearbeitung auch durch diesen Blogbeitrag nicht beendet werden können, jedoch ist es mir ein persönliches Bedürfnis dazu auch einmal Stellung zu nehmen und einige der oft gelesenen Aussagen genauer zu beleuchten.

Bildbearbeitung oder nicht? Wer so die Diskussion eröffnen möchte, ist eigentlich schon auf dem Holzweg, da man letztlich bei pingeliger Definition nie ohne Bildbearbeitung auskommt. Denn wo fängt diese an? Wer RAW fotografiert wird irgendwann gezwungen sein, seine Bilder zu entwickeln, also in Standardbildformate wie JPEG zu gießen. Dabei finden in der Regel schon automatische Anpassungen von Schärfe, Kontrast und Weißabgleich statt, auch wenn man im RAW Converter keinen einzigen Regler zusätzlich berührt. Das Bild gilt damit technisch als bearbeitet. Besonders clevere Zeitgenossen lehnen daher auch das Fotografieren in RAW komplett ab und produzieren die JPEGs direkt in der Kamera auf der Speicherkarte. Dass dabei letztlich der gleiche Prozess abläuft, man nur den Job durch die Kamera erledigen lässt, ist ihnen nicht klar.

Aber gehen wir mal etwas weniger spitzfindig davon aus, dass die Kritiker der Bildbearbeitung tatsächlich das Nachbearbeiten von RAW-Bildern mit Hilfe von Software am PC meinen und betrachten dazu einige typische Aussagen, die ich hier frei zitiere.

1) "Früher gab es auch keine Bildbearbeitung"

  • 842A3028
Diese Aussage ist schlicht falsch. In einer Zeit vor Speicherkarten und Software mussten Filme mit Hilfe von Chemikalien entwickelt werden, um aus den Negativen die Fotoabzüge zu erhalten. Je nach Auswahl des Films sowie Anwendung und Zusammensetzung der Chemikalien ließen sich so bereits unterschiedlichste Effekte erzielen. Kontrasthärtung, unnatürliche Farbgebung, künstliche Unschärfe, Überbelichtung, Unterbelichtung - die Mittel der Analogfotografie waren (sind) vielseitig und bis heute Namensgeber für viele Tools und Effekte, die wir aus Photoshop&Co kennen. So ist beispielsweise das aus Lightroom bekannte "Cross-processing" nichts anderes als die Softwareversion des gleichnamigen analogen Verfahrens, bei dem für die Entwicklung der Filme, die "falsche" Chemikalie genutzt wird. Im Beispielbild wurde eines der Lightroom-Presets angewandt. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Farben nicht mehr realistisch sind, aber das Bild dennoch wirkt. Mehr Informationen zum Thema Crossprocessing bekommt ihr hier: https://crossprocessing.info/. 

Ein anderes Beispiel ist das Nachbelichten-Werkzeug aus Photoshop, mit dem Bildbereiche abgedunkelt werden können. Dieses Werkzeug stammt ebenfalls aus der Analogfotografie und wurde früher über Abschatten von einzelnen Bereichen mit Hilfe der Hände oder Papierschablonen realisiert. Natürlich ist die Softwareversion deutlich flexibler und einfacher zu bedienen, dennoch ist die Idee dahinter nichts was es nicht schon früher gab. Somit ist die heutige Bildbearbeitung in vielen Bereichen nur eine logische Weiterführung und ein Ausbau der Mittel, die es schon früher gab.

2) "Ich brauche keine Bildbearbeitung, denn ich mache meine Bilder, wie sie das Auge sieht"

Das Auge ist ein erstaunlicher Apparat, der mit Unterstützung des Hirns eine phantastische Leistung bringt. Kameras und Objektive bringen diese Leistung mitunter nicht. Angefangen von physikalischen Effekten, wie chromatischen Aberationen (also die blauen/roten Farbsäume an kontrastreichen Kanten) oder Objektivverzerrung bis hin zum Dynamikumfang des Sensors ist die Kamera oftmals dem menschlichen Auge unterlegen (unter der Annahme, dass unser Auge der maximale Standard ist, den es zu erreichen gilt). Während wir also beispielsweise an der Küste einen Sonnenuntergang genießen und uns gleichzeitig am blauen Meer erfreuen können, muss sich die Kamera (also der Fotograf) in der Regel entscheiden, ob lieber der Himmel oder das Wasser korrekt belichtet sein soll. Durch Bildbearbeitung ist es jedoch möglich diesen Qualitätsunterschied zwischen Mensch und Technik auszugleichen und somit ein ebenbürtiges Bild zu erhalten. Die RAW-Fotografie erlaubt es uns aus den scheinbar abgesoffenen Tiefen eines Bildes noch einiges an Information rauszukitzeln, gleichzeitig können überbelichtete ("ausgebrannte") Stellen etwas abgedunkelt werden. Die Objektivverzeichnung lässt sich durch Entzerren des Bildes korrigieren und störende Farbsäume können mit wenigen Klicks entfernt werden. All diese Maßnahmen bringen das aufgenommene Bild deutlich näher an das "was das Auge sieht".

3) "Das ist doch kein Foto mehr"

  • KualaLumpur_PetronasTowers
Hier vermisse ich die Kritik in der Aussage. Oder mal zurück gefragt: Wenn es kein Foto ist, was ist es dann? Je nachdem worüber man sich gerade unterhält, antworte ich manchmal aber auch einfach "Stimmt!", insbesondere, wenn mal wieder ein offensichtliches Composing durch solch eine Aussage degradiert werden soll. Durch Bildbearbeitung bekommen wir Mittel und Methoden der Gestaltung an die Hand, mit denen wir völlig neue Bilder entwerfen können, die nicht mehr an die Grenzen der Realität gebunden sind. Die Fotografie bildet bei Composings dennoch die Grundlage und ohne technisch gutes Ausgangsmaterial wird auch das Endergebnis nicht begeistern können.

4) "Das könnte ich auch, wenn ich bearbeiten würde. Dann wären meine Bilder auch besser..."

So einfach ist es dann doch nicht. Zwar sind alle Bildbearbeitungstechniken und -werkzeuge einfach zu verstehen, sie korrekt anzuwenden und miteinander zu kombinieren ist allerdings oftmals nicht trivial und erfordert Gefühl und Erfahrung. Ein erarbeiteter Bildlook ist nichts, was sich durch einen einzigen Regler bewerkstelligen lässt, sondern ein kreativer Prozess, in den man erst hinein wachsen muss. Und das kann eben nicht einfach jeder. Und auch wenn Kamerasensoren und die Algorithmen der Bildbearbeitung immer besser werden, gilt weiterhin: Ohne gutes Ausgangsmaterial wird es auch mit Bildbearbeitung deutlicher schwieriger ein ansehnliches Endergebnis zu erzielen. 

5) "Das ist mir zu viel Photoshop"

  • IMG_2460_hdr
Wieviel ist zuviel und wer entscheidet, wo die Grenze ist? Ja, wir kennen alle die (Pseudo-)HDRs, die vor Farbe explodieren und nein ich finde sie auch nicht gut. Aber vielleicht gibt es Leute, denen das gefällt, die sich sowas aufhängen und die Spaß an diesen Bildern haben. Niemand ist gezwungen irgendwas gut zu finden und jeder darf auch sagen, wenn er etwas nicht gut findet. Was wir aber nicht tun dürfen, ist anderen vor zu schreiben, was sie gut finden dürfen und was nicht!


Schlussendlich wird es eine ewige Diskussion bleiben, in der uns aber pauschale Aussagen keinen Schritt weiter bringen. Denn diese sind einfach Quatsch, es ist weder richtig noch falsch ein Bild zu bearbeiten, sondern es ist die Entscheidung des Künstlers. Es verdient Anerkennung, wenn jemand Software so versiert bedienen kann, dass das Ergebnis ansprechend aussieht. Genau so beachtlich ist es, wenn man versucht das gleiche Ergebnis allein mit fotografischen Mitteln zu erzielen. Dabei gibt es keinen "besseren" Weg, sondern einfach verschiedene Arten der Herangehensweise und am Ende entscheidet doch nur, ob das Bild, das man betrachtet, den persönlichen Geschmack trifft.


Dir gefällt was du siehst? Dann zwitschere uns weiter oder like uns auf Facebook

6612 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.