Schritt 1: Wo?
Zu allererst benötigt ihr einen Raum, in den möglichst viel Tageslicht fällt. Es hilft, wenn draußen die Sonne scheint, sie darf aber nicht durch ein Fenster direkt auf das Gesicht des Motivs fallen, sonst gibt es harte Schatten, die wollen wir nicht. Verzichtet auf andere künstliche Lichtquellen wie Lampen, Blitze etc., denn die haben eine andere Farbe als das Tageslicht, was am Ende den Weißabgleich unnötig kompliziert macht und alles andere als professionell aussieht. Im Zweifel kann man die eine oder andere dunkle Ecke im Gesicht besser in der Nachbearbeitung korrigieren.
Damit das ganze seriös wirkt, sollte der Hintergrund möglichst einfarbig sein. Im Studio würdet ihr ja höchstwahrscheinlich auch vor einer einfarbigen Leinwand stehen. Es macht an dieser Stelle auch schon durchaus Sinn, sich über die spätere Bearbeitung Gedanken zu machen. Schwarzweiße Bewerbungsfotos können sehr gut aussehen, aber nur, wenn eure Hautfarbe heller als der Hintergrund ist. Vor einem weißen Hintergrund wirkt das Gesicht sonst möglicherweise „dreckig“. Wollt ihr am Ende ein Farbbild, ist ein weißer Hintergrund aber absolut okay. Es ist auch kein Problem, wenn es die gute alte weiße Raufasertapete ist (siehe Schritt 4).
Schritt 2: Welches Objektiv?
Ein Bewerbungsfoto ist ein Portrait, dementsprechend sollte die Brennweite nicht zu klein ausfallen. Alles ab 85mm ist okay. Zur Not gehts auch mal mit 50mm, dann die Kamera aber lieber etwas entfernt platzieren und hinterher den Rand ein wenig mehr beschneiden. Da ihr indoor fotografiert, wird es selbst im hellsten Raum eurer Wohnung für die Kamera relativ dunkel sein. Ihr braucht also Lichtstärke. Da ist es natürlich optimal, wenn ihr eine Festbrennweite im gewünschten Bereich habt. Die Fotos dieses Beitrags sind mit dem Canon 70-200mm f/2.8 L bei ca. 100mm entstanden.
Schritt 3: Welche Kameraeinstellungen?
Ich habe leicht abgeblendet auf f/3.2 - f/3.5. Warum? Obwohl die Schärfe des Objektivs bei Offenblende schon herausragend ist, kriegt man so einfach noch einen Tick Extraschärfe. Natürlich ist das eigentlich egal, man wird sein Bewerbungsfoto wahrscheinlich kaum jemals irgendwo in Postergröße verwenden wollen. Ich gebe zu, dass das eher eine persönliche Macke ist. Es gibt aber durchaus auch noch einen objektiven Grund: die Ebene der Schärfentiefe ist erst leicht abgeblendet dick genug, dass sowohl Augen als auch Nasenspitze scharf abgebildet werden (zumindest, wenn man so eine Nase hat wie ich).
Die Belichtungszeit sollte nicht zu lang werden, denn egal wie sehr man sich anstrengt still zu sitzen/stehen, man wackelt immer ein wenig. Mit 1/100s seid ihr auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Ein Stativ kann natürlich gerne benutzt werden, falls vorhanden. Die ISO sollte je nach Kamera nicht zu hoch gewählt werden, denn eventuell müssen in der Nachbearbeitung dunkle Kleidungsstücke (Anzüge) aufgehellt werden, wenn sie ansonsten keine Textur zeigen. Im Zweifel hier einfach ein wenig experimentieren.
Schritt 4: Abdrücken!
Hier ein paar nicht technische Ratschläge. Auf ein gepflegtes Äußeres muss ich wohl niemanden hinweisen. Schaut nicht frontal in die Kamera, sondern dreht Gesicht und Oberkörper leicht in die Richtung, aus der ihr durch Tür oder Fenster mit Licht versorgt werdet.
Dann heißt es: bitte lächeln. Und immer ordentlich draufhalten! Lieber zu viele als zu wenige Bilder machen. Die Problematik ein natürliches Lächeln hinzubekommen, kennt vermutlich jeder. Ein Trick, der bei mir (und meinen Motiven) immer ganz gut funktioniert, ist folgender: macht einen guten Witz/dummen Spruch oder was auch immer das Motiv zum herzhaften Lachen bringt. Dann die Phase abpassen, in der sich das Opfer wieder „beruhigt“. Das werden in der Regel die besten Bilder. Wenn ihr das ganze zu Hause macht, ist die Atmosphäre meistens sowieso lockerer. Die beiden folgenden Bilder zeigen: unten sind Jogginghose und Wollschlappen gar kein Problem. Das bringt oben ein entspanntes Lächeln. Ein kleiner Tritt hat in diesem Fall noch geholfen, die Körpergrößenunterschiede zwischen Fotograf und Motiv auszugleichen.
Wenn ihr im Hintergrund tatsächlich die berüchtigte Raufasertapete oder etwas anderes mit einer schwachen Struktur habt, dann versucht die Person, die abgelichtet werden soll, möglichst weit weg von der Wand zu positionieren (selbst dabei aber noch genug Abstand zum Motiv zu halten). Die Unschärfe des Hintergrunds erledigt dann den Rest. Bei den Beispielbildern zu diesem Beitrag standen die Personen etwa einen Meter von der Wand weg, deren Oberfläche tatsächlich eine Raufasertapete war. Davon sieht man dank f/3.2 nichts mehr.
Schritt 5: Nachbearbeitung
Hier müsst ihr das wieder reinholen, was mangels Studio beim Shooting gefehlt hat. Zu allererst beschneidet ihr das Bild, falls nötig. Achtet darauf das Gesicht nicht direkt in der Bildmitte zu haben. Die gute alte Rules of Thirds kann man auch in der Portraitfotografie anwenden.
Dann geht's an die Farben. Hauptanhaltspunkt in der Bearbeitung sollte die Hautfarbe sein. Die darf nicht künstlich oder unnatürlich wirken. Weißabgleich und Nachbelichtung sollten sich an ihr orientieren. Mein persönlicher Pro-Tipp: in Lightroom mit dem Korrekturpinsel das Gesicht noch mal ca eine halbe Blendenstufe heller machen. Damit hat man in etwa den gleichen Effekt, als hätte man eine Softbox benutzt.
Zum Schluss kann man das ganze noch mit einer leichten Vignette abrunden. Falls ihr den Hintergrund schön einheitlich hinbekommen habt, dann wirkt diese, als hätte das Motiv tatsächlich vor einer Leinwand gestanden. Im Zweifel gilt auch hier: einfach mal ein wenig experimentieren! Folgender Vorher/Nachher-Vergleich zeigt das Ergebnis des kompleten Prozederes am Beispiel des undankbarsten aller möglichen Motive, dem (und in diesem Fall meinem) eigenen Gesicht ;)
Im nächsten Teil dieser Reihe wird es dann darum gehen, keine Menschen sondern Dinge zu fotografieren: Produktfotografie ohne Studio!